Das heutige Titelbild ist ein Platzhalter für dieses Meisterwerk hier, das den Status Quo der Menschheit wohl nicht treffender und präziser auf den Punkt bringen könnte. Liebe Leute, wir müssen reden. Disclaimer: Der folgende Text könnte Spuren von Wut enthalten.
Ich habe am Wochenende einen Instagram Post zum Thema “Covid Safe Travels” geteilt und wurde in Lichtgeschwindigkeit dafür abgestraft. Versteht mich nicht falsch, es geht mir hier nicht um die Zahl meiner Follower. (Wenn dem so wäre, müsste ich einfach nur stumpf Spiri Content posten und meine politische Haltung außen vor lassen.) Was mich so betroffen macht, ist das, was die Menschen dazu veranlasst, mir umgehend zu entfolgen, nur weil ich ein paar Tipps zusammenfasse, wie man gesund durch den Urlaub kommt.
Es lässt mich fassungslos zurück, wie politisiert das Thema Infektionsschutz hierzulande mittlerweile ist.
Und ich schreibe ganz bewusst “hierzulande”, weil ich es in den vergangenen Wochen in Griechenland anders erlebt habe. Dieser Tweet hier ging viral und wer sich mal durch die Kommentare scrollt, wird feststellen, dass dieser verächtliche Hass gegen Maskenträger*innen ein Problem des verschwurbelten DACH Raums ist. Wie überraschend. Nicht.
Und wisst ihr, was mich ganz besonders ankotzt? Dass auch die Linken und die Spiris, die anfangs noch stabil waren, mittlerweile die rechten Narrative vom schwedischen Husten bedienen. Eigentlich linke Youtuberinnen, denen ich folge, erwähnen ganz nebenbei, dass sie mal wieder “Coroni” hatten und ach so politisch korrekte Yogastudio Betreiber*innen hosten knackig volle Klassen wie in alten Zeiten, ohne Luftfilter aufzustellen. Leute, ganz ehrlich? Da kann euer Social Media Auftritt noch so inklusiv sein. Wer in Sachen Public Health den aktuellen wissenschaftlichen Status Quo einfach stur ignoriert und den fehlenden Gesundheitsschutz mit dem eigenen ach so milden Verlauf rechtfertigt, bedient Querdenker Narrative. Dass sich diese unsolidarische Scheissegal-Haltung genauso schnell ausgebreitet hat wie das Virus selbst, macht es nicht besser. Nur weil es fast alle so handhaben, ist es nicht weniger problematisch.
Während Karl Lauterbach als Wissenschaftler oder Privatperson oder was auch immer twittert, dass wiederholte Infektionen ein riesiges ungelöstes Problem sind und die Immunologin Akiko Iwasaki im Zeit Interview Klartext redet, leiden alleine in Berlin 75K (in Worten: FÜNFUNDSIEBZIGTAUSEND) Menschen unter Long Covid, und zwar ohne jeden Lichtblick in Sachen Therapiemöglichkeiten. In das Berliner Olympiastadion passen 74.475 Menschen. Nur, damit wir alle diese Zahl besser einsortieren können.
Und wo wir schon beim Olympiastadion sind, können wir gleich mit unserem Nazi-Problem weitermachen.
Während Merz, Söder und andere konservative, alte, weiße Männer durch die Verwendung von Begriffen wie “Sozialtourismus” oder “kleine Paschas” bereits in der Vergangenheit proaktiv mit der AfD gekuschelt haben, ist der Schulterschluss seit vergangenem Wochenende offiziell. Wofür, oder besser gesagt, wogegen Söder ist, dürften ja mittlerweile alle mitbekommen haben. Da befindet er sich by the way in bester Gesellschaft mit dem Springer Konzern, der eine Kampagne nach der anderen gegen Habeck und die Grünen fährt. Am vergangenen Wochenende ist auch der letzte Stein der “Brandmauer gegen Rechts” gefallen, als Söder auf Einladung einer Querdenkerin in Erding gemeinsam mit AfD und FDP gegen Wärmepumpen hetzte. Das Publikum? Well…
Das Wort “Wärmepumpe” ist mittlerweile ähnlich politisiert wie das Tragen einer Maske. Zusammen mit Begriffen wie “Tempolimit” oder dem Gendersternchen sorgt es in Sekundenbruchteilen für ordentlich Schaum vor dem Mund “konservativer” Menschen.
Die Agenda ist klar. Hass und Hetze gegen Veränderung. Blockade des Fortschritts. Festhalten an fossilen Energien.
Aber wer 24/7 gegen die Grünen hetzt, gräbt der AfD keineswegs Wähler*innen ab, sondern sorgt viel mehr dafür, dass immer mehr Menschen “das Original” wählen. Der Volksverpetzer hat das sehr treffend zusammengefasst. Und auch dieser Tweet hier benennt das Problem klipp und klar. Und so stehen wir am 10. Juni 2023 an einem Punkt in der deutschen Geschichte, an dem 19% der Menschen laut INSA bei einer Bundestagswahl die Nazis wählen würden. NEUNZEHN PROZENT!
Bahar Aslan verliert ihren Job, weil sie das Polizeiproblem Einzelfälle benennt. Frauen, die all’ ihren Mut zusammennehmen und von ihren Erfahrungen mit systematischem sexuellem Missbrauch berichten, werden anwaltlich gemutet. Menschen, die sich für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen auf die Straße kleben, werden weggeprügelt. Die EU schottet sich ab. Der Hass gegen trans* Menschen erreicht seinen Höhepunkt. Mehr als ein Drittel der jungen Männer finden Gewalt gegen Frauen “akzeptabel”. Fast die Hälfte fühlt sich gestört durch Homosexualität. Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber mein Wut Barometer steigt von Tag zu Tag. Als ich als Teenager im Geschichtsunterricht saß, verstand ich nicht, wie es soweit kommen konnte. Es war mir unbegreiflich, warum so viele Menschen einfach mitgemacht haben, indem sie die Klappe gehalten haben. Es ist sehr schmerzhaft, diese Dynamik im Jahr 2023 selbst mitzuerleben und finally zu verstehen.
Und an alle, die mir jetzt wieder kommen mit “Puh, so viel Wut, geh’ mal mehr ins Yin”: Fuck you. Ehrlich. Kuschelt euch weiter in eure Spiriblase, verbindet euch tanzend mit eurem Uterus und trinkt Kakao, um in “High Vibe Energy” zu kommen, während außerhalb eurer Ego Bubble der Planet brennt. Laura Malina Seiler und Tobias Beck, die ja beide die ultimative Wahrheit in Sachen “Big Love und perfekte Partnerschaft” verkauft haben, leben mittlerweile wohl beide von ihren Ehepartnern getrennt. Der Thrive Scam rund um Robert Gladitz und Elina Miller (remember?) ist ebenfalls aufgeflogen. An allen Ecken und Enden haut das Leben uns gerade die Realität um die Ohren und die Spiri Szene entzaubert sich von selbst. Aber ja, zieht euch gerne zurück in euer Kämmerlein und meditiert im Stillen vor euch hin. Praktiziert Dankbarkeit und schreibt Morgenseiten. Die Nazis lachen sich kaputt.
Es geht hier nicht um Spiritualität. Obwohl – vielleicht ja doch?
Unsere bisherige Gesellschaftsstruktur ist “under pressure”. Und nun zeigt sich, was die jahrelange spirituelle Praxis und all’ das Gesäusel von Liebe und Mitgefühl wert war.
Es ist mir egal, wie viele Menschen mich noch deabonnieren, mich verhöhnen, weil sie sich durch meine Maske unangenehm berührt fühlen oder in Direktnachrichten oder Emails ihren Hass über mir ausschütten. Ich werde nicht die Klappe halten und weiter laut sein. Gegen Misogynie. Gegen Nazis. Gegen dieses ekelhaft eugenische Mindset, das sich in den letzten 15 Monaten wie ein neues Virus ausgebreitet hat und viel zu schnell endemisch geworden ist. Bei aller Ohnmacht und bei aller Wut, die die aktuelle Zeit zweifelsohne auslöst, sollten wir nicht vergessen, dass wir hier in Deutschland leben und im Hinblick auf unsere Vergangenheit eine Verantwortung im Gepäck haben. Und wir sollten uns vor Augen führen, dass jede*r Einzelne von uns die Zukunft aktiv mitgestalten kann. Und zwar an jedem einzelnen, verdammten Tag.
Jenny
Mein Mann ist gestorben. Er hat sich im Krankenhaus mit Corona infiziert, nachdem wir es drei Jahre geschafft hatten, das Zeug zu vermeiden. Letztlich ist er nicht daran gestorben, aber es hat sich zweimal nach schon überstanden geglaubter Infektion reaktiviert, und es ging ihm nochmal soviel schlechter mit dem Zeug als ohne. Ich glaube, dass den Meisten schon nicht klar ist, was es heißt, Sauerstoff zu brauchen (nicht beatmet zu werden – die “harmlosere” Variante). Das ist, als hättest du 24 Stunden am Tag einen Föhn im Kopf. Du kannst nichts mehr hören, dich nicht konzentrieren, bekommst einen trockenen Mund sodass dir alles aufreißt. Von den Symptomen von COVID ganz zu schweigen. Ich habe auch auf der Palliativstation immer Maske getragen, schon der anderen Patienten wegen. Ich konnte ihn nicht zum Abschied küssen, um ihn und alle Anderen zu schützen. Erst als er tot war. Er ist 40 Jahre alt geworden.
Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Es tut mir so unendlich leid 😔 Du hast ja schon häufiger kommentiert, daher habe ich ein bisschen Kontext. Es ist unfuckingfassbar. Ich kann mir nicht ansatzweise vorstellen, wie es Dir jetzt geht, aber ich danke Dir von Herzen, dass Du all’ denjenigen, denen es ergangen ist wie Deinem Mann, hier ein Gesicht in Form eines Kommentars gibst. Es sind Ehepartner*innen, Mütter und Väter, Brüder und Schwestern, deren Tod wir Tag für Tag gesamtgesellschaftlich im Namen der “Freiheit” einfach so in Kauf nehmen 😔 Es ist so falsch auf allen Ebenen. Ich wünsche Dir viel Kraft. Du bist nicht alleine ❤️
Danke dir, liebe Jenny, für dein Mitgefühl. Ich hatte Angst, den Rahmen hier zu sprengen, aber ich wollte eben doch ausdrücken, dass die Pandemie zwar aus den Medien und scheinbar auch aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist, aber dass es viele Menschen gibt, die zurückgelassen werden, wenn jetzt alle feiern, dass das Leben weitergeht. Danke dir, dass du dem nach wie vor Raum gibst. <3
Es feiern nicht alle ❤️ Man könnte den Eindruck bekommen, aber die NDR Umfrage #NDRfragt “Wie viel Kultur leisten Sie sich?” kam zu dem Ergebnis, dass jeder 5. Mensch nicht wieder lebt wie 2019. Und je mehr Menschen durch dieses Virus krank werden oder nahe Angehörige verlieren, umso stärker wird sich das irgendwann shiften. Das macht es nicht weniger tragisch, aber 22%!