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Wie Hexenverbrennungen unsere Spiritualität verändert haben

Dieses Wochenende ist ein guter Zeitpunkt, um mal darüber zu reden, wie Hexenverbrennungen unsere Spiritualität verändert haben. Vorab möchte ich aber alle gläubigen Christ*innen, die auf diesen Artikel hier mit eher wenig Nächstenliebe reagiert haben, bitten, mir nicht wieder wütende Kommentare und Emails zu schreiben. Denn diese wütenden, belehrenden und missionierenden Kommentare und Emails sind […]

Wie Hexenverbrennungen unsere Spiritualität verändert haben

Dieses Wochenende ist ein guter Zeitpunkt, um mal darüber zu reden, wie Hexenverbrennungen unsere Spiritualität verändert haben. Vorab möchte ich aber alle gläubigen Christ*innen, die auf diesen Artikel hier mit eher wenig Nächstenliebe reagiert haben, bitten, mir nicht wieder wütende Kommentare und Emails zu schreiben. Denn diese wütenden, belehrenden und missionierenden Kommentare und Emails sind Teil des Problems.

Matthias berichtete mir kürzlich von einem Brauch im Allgäu, bei dem auch im Jahr 2023 noch eine aus Stroh nachgebaute Frau in Flammen aufgeht. Ich wollte es nicht glauben. Daraufhin schickte er mir den Link zu diesem Artikel. Einfach mal lesen und sacken lassen.

Props gehen raus an die 77-jährige Elisabeth Brock!

Denn im zutiefst katholischen Bayern wird ihr ziemlich sicher die volle Breitseite des Patriarchats in Form von „Darf man jetzt nicht mal mehr Frauen aus Stroh verbrennen? Ja was darf man denn heute überhaupt noch?“ entgegen schlagen.

Ich finde den verlinkten Artikel sehr spannend. Denn er deutet einerseits vorsichtig ein Problem an. „Geht es 2023 wirklich noch klar, eine Frau aus Stroh unter dem Grölen und Feiern der Menge in Flammen aufgehen zu lassen?“ Es wird sogar kurz eine Historikerin befragt, die natürlich bestätigt, dass unsere Vorfahren bei ihren Frühlingsfeuern keine Frauen verbrannt haben.

Und dennoch fällt der Begriff „Inquisition“ kein einziges Mal.

Denn somit wäre ja der Bezug zur katholischen Kirche hergestellt und ich vermute, das ist in Bayern auch im Jahr 2023 noch ein No Go.

Also baut man den Artikel so auf, dass man im Zweifel die 77-Jährige, die für die Abschaffung dieser menschenverachtenden und misogynen Scheisse kämpft, als „hysterisch“ abtun und sich bequem im sicheren ÖRR Sessel zurücklehnen kann. Jetzt mögen viele denken: „Ja, alles klar. Bayern halt.“ Aber die meisten Menschen nutzen auch heute und außerhalb Bayerns den Begriff „Hexe“ noch als Schimpfwort. Oder zumindest so, dass er negativ konnotiert ist.

Wir haben diese ganze Scheisse alleine schon aus epigenetischer Sicht auf unserer Festplatte.

Denn die Verbrennung der letzten „Hexe“ in Deutschland liegt nicht mal 250 Jahre zurück. Die meisten von uns haben sich intensiv mit dem Nationalsozialismus und der damit verbundenen kollektiven Schuld auseinander gesetzt. Die Aufarbeitung der Hexenverbrennungen hingegen lässt bis heute auf sich warten. In diesem Zusammenhang fällt sehr häufig der Begriff „Hexenwunde“. Aber was hat es damit auf sich?

Spulen wir mal ein paar hundert Jahre zurück. Dass es überall auf der Welt eine naturverbundene Spiritualität gab, die ganz selbstverständlich gelebt wurde, war der Kirche ein Dorn im Auge. Diese Spiritualität gab es auch bei uns im deutschsprachigen Raum. Sonnen- und Mondfeste waren die zentralen Feierlichkeiten. Aber Menschen und Gemeinschaften, die sich am Kosmos und an der Natur ausrichten, lassen sich nur schlecht unterdrücken.

Mit der Christianisierung  hielt der allgegenwärtige und richtende „Herrgott im Himmel“ (und mit ihm das Patriarchat) Einzug in die Gesellschaft.

Bei unseren keltischen Vorfahren wechselten sich Sonnen- und Mondfeste ab. Es gab Götter und Göttinnen. Die Nummer war unterm Strich sehr ausgeglichen. Die Entwertung der Frau nahm durch die Machtübernahme der Kirche ihren Lauf.

Den Sonnen- und Mondfesten wurden christliche Feiertage übergestülpt.

Die Menschen wurden ganz bewusst von ihrer Natur und den kosmischen Zyklen entkoppelt und es wurde ein System etabliert, das auf Schuld und Scham fußte.

Hier ein Auszug aus dem Wikipedia Eintrag zur Christianisierung in Deutschland: „Man huldigte dem neuen Glauben anfangs meist weniger aus Überzeugung, sondern weil die Macht des Königs dahinterstand und weil man sich davon Vorteile erhoffte und auch erhielt. Die Bischöfe von Mainz und Würzburg führten wiederholt Klage, dass ihre Schäflein „immer noch und immer wieder heimlich an ‚heiligen‘ Bäumen, Felsen und Quellen opferten.“ Die „Bekehrten“ fürchteten offenbar die Rache der Ahnen, so ganz wollte man es sich mit ihnen nicht verderben. Andere heidnische Orte, wie Felsen und viele der Hünengräber in Norddeutschland, wurden zu Zwecken der Abschreckung mit unheimlichen Namen versehen (Teufelssteine, Teufelsbackofen etc.), die sie teilweise bis heute tragen […] Manchmal wurden Götterbilder, heilige Steine oder ganze Monumente in Kirchen eingebaut, zu Kirchen umgebaut oder zu christlichen Symbolen umgestaltet. Beispiele sind die Christianisierten Megalithmonumente, der in der Kirche von Altenkirchen verbaute Svantevitstein und das aus einem Menhir herausgearbeitete Fraubillenkreuz auf dem Ferschweiler-Plateau in der Eifel.“

Die Kirche hat im Rahmen der Christianisierung also alles daran gesetzt, unsere spirituellen Wurzeln zu kappen.

Denn eine echte Anbindung ist machtvoll. Und ermächtigte Menschen stören im Patriarchat. Daher hat man dann im Rahmen der Inquisition die besonders „Widerspenstigen“ einfach als „von Teufel besessen“ erklärt und öffentlich verbrannt und hingerichtet. Es handelte sich hierbei vorwiegend um Frauen, die ihre Naturspiritualität weiter praktizierten. In Form von Kräutermedizin, einer rituellen Praxis, dem Feiern von Mondfesten oder what so ever.

Auch mich würde man verbrennen, wenn man die Maßstäbe von damals auf mein heutiges Leben anlegt.

Weil ich Räuchermischungen mixe und sie Planeten zuordne. Weil ich mich am Kosmos ausrichte. Weil ich einen Uterus habe und zu widerspenstig bin. Und genau diese Strukturen wirken bis heute in unserer Gesellschaft. Daher gibt es viele Menschen wie mich, die ihr Mondritual nur heimlich hinter verschlossener Tür praktizieren und ihre Tarot Karten in der Schublade verstecken.

Bis heute lastet unserer ureigenen Spiritualität etwas sehr Ungutes an, für das man sich rechtfertigen muss.

Und auch ich selbst bin nicht frei davon. Ja, ich arbeite mit Astrologie, aber bitte bezeichne mich nicht als Astrologin. Ja, ich nehme mehr wahr als das, was physisch existiert, aber ich teile es nur mit ausgewählten Menschen. Ich muss mich sicher fühlen.

Vorhang auf für die Hexenwunde

Denn es ist auch im Jahr 2023 nicht sicher. Es geht auch im Jahr 2023 mit sozialer Ächtung einher. Man blickt auf Menschen wie mich herab. Man weiß es einfach besser, weil man im „Team Wissenschaft“ spielt. Weil nichts existiert, was man nicht mit den eigenen Augen sehen und mit den eigenen Händen anfassen kann. Weil unsere Existenz ein einziger Zufall ist. Die Geburt und der Tod. „You only live once“ und so.

Dieses egozentrische und vom Kollektiv entkoppelte Selbstbild ist ein Kollateralschaden der Christianisierung. Wenn man Menschen von der eigenen Natur entkoppelt, geben sie einen Fuck auf den Planeten. Wenn man sich durch eine Beichte von Sünden reinwaschen kann, ist es kein Problem, mit dem eigenen Leben eine Schneise der Verwüstung zu hinterlassen. Ich wage die Behauptung, dass uns durch diese Entkopplung etwas fehlt. Und das suchen wir uns auf vermeintlich sicheren Wegen, indem wir einen Flug nach Indien buchen und 2 Wochen in einem Ashram verbringen. Indem wir nach Peru fliegen und Ayahuasca saufen. Indem wir nach Bali fliegen und an die dort noch allgegenwärtige Anbindung andocken. Oder indem wir bei Urban Outfitters Palo Santo bestellen, mit dem wir heimlich zuhause zum Vollmond ein bisschen rumwedeln.

Sich das, was uns selbst fehlt, aus fremden Kulturen in kleinen Dosen zurück zu holen, ist sicherer als sich mit der eigenen Hexenwunde in Deutschland im Jahr 2023 auseinander zu setzen.

Denn diese Auseinandersetzung ist äußerst schmerzhaft. Dass die Nazis sich Runen und andere Teile unserer Naturspiritualität einverleibt hatten, macht es noch schmerzhafter. Denn es führt unweigerlich dazu, dass wir uns fragen müssen, was im Hinblick auf den Nationalsozialismus im Hier und Jetzt noch klargeht, und was wir opfern müssen.

Es ist also kompliziert und mit einem bunten Blumenstrauß hässlicher Gefühle verbunden.

Wer Zugang zu den Bildern der eigenen Verbrennung hat, wird wissen, was ich meine. Und auch das zu schreiben fühlt sich nicht sicher an. Wir leben in einer Zeit, in der zwei junge Frauen für ein Buch über „die radikale Gedankenwelt der Esoterik“ gefeiert werden, die selbst keinerlei Zugang zu dem Thema und dieser Welt haben. Es ist die selbe grölende und applaudierende Menge, die im Allgäu feiert, wenn die „Hexe“ brennt. Die Strukturen wirken bis heute. Daher mein Appell an alle, die gerade in diesen Tagen mit ihrer Hexenwunde in Kontakt kommen: Ihr seid nicht alleine.

We are the granddaughters of the witches you couldn’t burn.

Lasst uns am Sonntag Abend eine Kerze anzünden für all‘ die Frauen, die verfolgt und verbrannt wurden. Volle Solidarität mit Elisabeth Brock! Nehmt all‘ euren Mut zusammen und zeigt euch! Denn wenn hier irgendwas brennen sollte, dann ist es das Patriarchat.