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„Komm‘ mal mehr ins Yin“ – meine Gedanken zum feministischen Kampftag 2023

8. März. Feministischer Kampftag. Du bist zu laut. Du bist zu wütend. Du bist zu aggressiv. Komm‘ mal mehr ins Yin. Reagier‘ Dich mal beim Kampfsport ab. Keine Ahnung, wie oft ich diese und ähnliche Sätze in den letzten 43 Jahren schon gehört habe. Denn wenn das Patriarchat eines überhaupt nicht mag, dann sind es […]

Feministischer Kampftag 2023

8. März. Feministischer Kampftag.

Du bist zu laut. Du bist zu wütend. Du bist zu aggressiv. Komm‘ mal mehr ins Yin. Reagier‘ Dich mal beim Kampfsport ab.

Keine Ahnung, wie oft ich diese und ähnliche Sätze in den letzten 43 Jahren schon gehört habe. Denn wenn das Patriarchat eines überhaupt nicht mag, dann sind es „aufmüpfige“ Frauen wie mich. Frauen, die sich nicht stillschweigend in die gängigen Rollenbilder einfügen.

Ich habe nie geheiratet. Ich habe keine Kinder. Ich war beruflich immer selbstständig.

Frauen wie mir wird in den 30ern ungefragt mitgeteilt, dass der Kinderwunsch sich schon noch einstellt, wenn „der Richtige“ erst mal um die Ecke kommt. Ich habe das mehrfach erlebt, sogar als mein Partner neben mir stand. Frauen wie mir wird abgesprochen, zu wissen, was wirklich zählt im Leben. Denn das realisiert man angeblich erst durch das Gebären von Kindern. So weit, so problematisch.

Wenn wir einen Blick in die sozialen Medien werfen, realisieren wir, dass auch im Jahr 2023 niemand stärker gefeiert wird als die Pick Me Girls des Patriarchats.

Sei es die Inszenierung als liebende Mutter, die ihren Familienalltag portraitiert, während der Mann einer Lohnarbeit nachgeht. Oder der hart kapitalistische Struggle im „Girl Boss“ oder „Boss Babe“ Stil mit spitz ausgefahrenen Ellbogen. Da erzählen mir Ladies in der Wanne liegend und Champagner schlürfend, dass auch ich es schaffen kann, sechsstellig im Jahr zu verdienen. Wer mir 2023 also erzählt, Feminismus sei überflüssig, wird laut ausgelacht.

Ich möchte den heutigen feministischen Kampftag zum Anlass nehmen, um fünf Gedanken mit euch zu teilen.

  1. Nicht jede Frau hat einen Uterus und nicht jeder Mensch mit Uterus ist eine Frau. Deal with it! Ich würde es daher begrüßen, wenn dieser ganze Spiri Bullshit Schwurbel mal dahingehend angepasst wird, als dass sich nicht jeder Mensch mit 2 X Chromosomen passiv, weich und fließend im Yin suhlen muss, um sich in seiner Mitte zu befinden. Das Gleiche gilt für Menschen mit Y Chromosom, die sich in sogenannten „Männerkreisen“ zum Brusttrommeln versammeln. Es gibt mehr als zwei Geschlechter. Können wir diesen Scheiß bitte hinter uns lassen?
  2. Wir sind alle sexistisch sozialisiert. So zu tun, als wäre dem nicht so, ist Teil des Problems. Es geht nicht darum, das Patriarchat durch das Matriarchat zu ersetzen. Es geht nicht um Dominanz durch Frauen anstatt durch Männer. Es geht um Gleichheit und es geht um Menschlichkeit. Nicht alle Männer pudern dem Patriarchat den Arsch und es gibt Frauen wie Franziska Giffey, die es tun. Wer Feminismus im Jahr 2023 noch mit Männerhass gleichsetzt, hat immer noch nicht gecheckt, worum es im Kern geht. Oder vielleicht auch einfach nur Angst, die eigenen Privilegien zugunsten der Gleichheit ziehen zu lassen.
  3. Kapitalismus und Patriarchat nähren sich gegenseitig. Wir haben es hier mit Best Buddies zu tun. Ist es also geil, den feministischen Kampftag zum Anlass zu nehmen, um Gutscheincodes für den eigenen Online Shop rauszuhauen? Nein, ist es nicht. Und an alle Männer, die ihren Frauen heute Blumen schenken: Nehmt euch lieber mal eine Stunde Zeit für ein Zwiegespräch und redet mal offen und ehrlich über die eigene sexistische Sozialisierung und die gelebte Ungleichheit in eurem Alltag.
  4. Misogynie ist allgegenwärtig und umso schlimmer, je grüner und weiter links die betreffende Frau zu verorten ist. Da regnet es Morddrohungen und Hass. Annalena Baerbock, Ricarda Lang oder Katja Diehl können sicherlich das ein oder andere Liedchen davon singen. Es ist an uns, sich mit diesen Frauen zu solidarisieren. Diese Frauen haben den Mut, öffentlich für eine bessere Welt einzustehen und dem Patriarchat die Stirn zu bieten. Ich will mir nicht vorstellen, was das für den eigenen Alltag an Konsequenzen nach sich zieht. Volle Solidarität mit diesen Frauen!
  5. Infektionsschutz ist feministisch. Es sind nach wie vor größtenteils Frauen, die Care Arbeit leisten, wenn Kinder sich am laufenden Band reinfizieren. Außerdem erkranken mehrheitlich Frauen an Long Covid und ME/CFS, werden arbeitsunfähig und sind somit wirtschaftlich und existentiell nicht mehr unabhängig. Hinzu kommt, dass Folgeerkrankungen einer Covid Infektion bei Frauen häufig als psychosomatisch geframed werden. Frauen werden also nicht ernst genommen. Aufgrund von Kinderbetreuung ist an Pacing häufig nicht zu denken. Was das für die Zukunft vieler Frauen bedeutet, liegt auf der Hand.

Nennt mich naiv, aber ich bin noch immer fest davon überzeugt, dass wir jedes einzelne der großen Probleme unserer Zeit lösen könnten, wenn wir das Patriarchat einfach anzünden. Und nein, Michael. Nicht Männer anzünden, sondern das Patriarchat.

Ich las gestern den Tweet „These: Eine Verkehrsministerin Wissing hätte längst zurücktreten müssen.“ Und ich finde nicht nur, dass dieser Tweet den Staus Quo im Jahr 2023 sehr gut zusammenfasst, sondern ich würde auch meine Hand dafür ins Feuer legen, dass eine Verkehrsministerin Wissing bereits von alleine zurückgetreten wäre.

Es ist nicht nur okay, laut zu sein und wütend und aggressiv. Es ist unabdingbar, wenn sich etwas ändern soll. Das Patriarchat lacht sich schlapp, wenn wir ihm mit Meditieren, Einkehr und Innenschau begegnen. Denn das Patriarchat liebt ruhige, zurückgezogene und in sich gekehrte Frauen.