Ich habe am Donnerstag einen Post auf Instagram veröffentlicht, der so oft geliked und geteilt wurde, dass er gegen Freitag Nachmittag meine Bubble verlassen hat. Seitdem werde ich im großen Stil gemansplained und komme aus dem Blocken nicht mehr raus.
Das hier soll kein klassischer Artikel über “Kulturelle Aneignung” werden. Aber da wir uns aus astrologischer Sicht ja mitten in einem Epochenwandel befinden und die Werte der nächsten 200 Jahre sehr viel stärker auf “Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit” basieren werden, sollten wir uns vielleicht mal anschauen, wie wir da hinkommen.
Denn der Status Quo hat damit noch nicht wirklich viel zu tun. Robert Habeck hat ihn am Donnerstag Abend bei Lanz sehr treffend folgendermaßen zusammengefasst:
Der Glaube, dass wir in Deutschland immer alles richtig machen […] wenn wir unser Hack aufs Mettbrötchen draufschmieren, immer sind wir auf der Seite der Guten. Das können nur Leute glauben, die noch nie im Schweinestall waren […] Wir ziehen mit unserem täglichen Leben eine Spur der Verwüstung durch die Erde und wir kümmern uns da noch nicht drum. Wenn wir ehrlich sind, müssten wir uns mal dann auch zumuten, was immer wir tun, hat Konsequenzen. Wir sind keine Engel, aber wir können versuchen, Schritt für Schritt die Konsequenzen ein bisschen weniger schlimm zu machen.
Die hitzigen Diskussionen, die uns beim Thema “Kulturelle Aneignung” entgegenschlagen, sind ebenso übertragbar auf Klimaaktivismus, Veganismus und alle Bewegungen, die aktiv etwas verändern wollen. Daher passt das Habeck Zitat meiner Meinung nach hier auch ganz gut rein.
Ich beobachte immer wieder, dass privilegierte Menschen eine “Bis hier her und nicht weiter-Haltung” an den Tag legen, wenn es ans Eingemachte geht. Ich hab’ beispielsweise mit 12 Jahren aufgehört, Fleisch zu essen und mein direktes Umfeld hat bis vor wenigen Jahren noch jeden Diskurs mit “Wir essen ja nicht so viel Fleisch” im Keim erstickt und entsprechend abgewiegelt. Und genau das Gleiche passiert auch in diesen ganzen anderen wilden Debatten, die in Zeiten des Umbruchs geführt werden wollen.
Nein, Manfred. Nur weil Du zwei Schwarze Menschen kennst, die kein Problem mit dem N-Wort haben, geht das ganz sicher nicht klar, es einfach zu benutzen.
Nein Annette. Nur weil Du zwei Wochen auf Bali eine Drölfzigtausend Stunden Ausbildung zum “Certified Yoga Healing Teacher” besucht hast, geht es nicht klar, wenn Du Dein Yogastudio jetzt einrichtest wie einen Ashram in Rishikesh und im Sari Sanskrit Mantren chantest.
Nein, Nina. Nur weil Du Kakao super findest, ist es keineswegs unproblematisch, jetzt in Wuppertal schamanische Reisen anzubieten, in denen Du weißen Salbei räucherst, “Mama Cacao” ausschenkst und die Besucher*innen zum Abschied mit Agua de Florida bespuckst.
Ich könnte jetzt noch eine ganze Weile so weitermachen. Aber darum geht es nicht. Es geht nicht ums Austeilen, sondern viel mehr darum, sich mit der eigenen Scham auseinander zu setzen. Vom Schamanismus zur Scham sozusagen. Ich möchte das an dieser Stelle sehr gerne einmal öffentlich tun, damit klar wird, dass das ein ganz normaler Prozess ist, mit dem wir während dieser Umbruchszeit alle konfrontiert sind.
Der Holiday Park in Haßloch
Wer (wie ich) im Südwesten aufgewachsen ist, wird vermutlich schon bei “Holiday Park in Haßloch” zusammengezuckt sein, oder? Denn Achtung, jetzt folgt harter Tobak. Als ich klein war (in den 80ern) waren Freizeitparks in Westdeutschland äußerst angesagt. Und im Holiday Park in Hassloch gab es neben einem Delfinarium und Fahrgeschäften auch ganz selbstverständlich das “Liliput Dorf”. Ja, ihr habt richtig gelesen. Das waren Miniaturhäuschen, in denen Kleinwüchsige Menschen lebten und durch die man von außen reingaffen konnte. Ich erinnere mich noch, wie faszinierend ich das als Kind fand, weil die ja erwachsen waren, aber trotzdem nicht größer als ich. Und alleine, das hier heute aufzuschreiben und mit euch zu teilen, löst unendlich viel Scham in mir aus. Weil mittlerweile mehr als 30 Jahre vergangen sind und dieses Szenario 2022 undenkbar ist. Diese Scham will aber gefühlt werden. Das war unfassbar scheiße für diese Menschen damals (wie der verlinkte Artikel ja belegt), aber erst das Erkennen und Benennen der Scham und der daraus resultierende Diskurs öffnet dem Wandel die Tür. Verkapseln, Negieren und Abwiegeln hingegen sind kontraproduktiv.
Gendern mit Doppelpunkt
Auch das ist mir jetzt sehr unangenehm, aber ich war ernsthaft genervt, als es vor einer Weile hieß, dass jetzt doch wieder mit Sternchen statt mit Doppelpunkt gegendert werden soll, weil das Sternchen inklusiver ist als der Doppelpunkt. Ich ertappte mich bei einem genervten Stöhnen und Gedanken wie “Jetzt hatte ich mich doch gerade an den Doppelpunkt gewöhnt”. Das war der Moment, in dem ich realisierte, dass über über 40 bin und dass mein Geist wohl viel weniger beweglich ist, als ich immer dachte. Mittlerweile gendere ich wieder mit Sternchen und hab’ mich erneut umgewöhnt. Aber ich schäme mich dafür, dass ich als heterosexuelle Cis-Frau davon genervt war, “weil eine Minderheit sich von dem Doppelpunkt nicht repräsentiert fühlt”. Höchstwahrscheinlich wohnt in jedem und jeder von uns ein mehr oder weniger präsenter alter, weißer Mann.
Ayurveda, Lomi Lomi und Balinesische Massagen
Ich habe das alles gelernt und auch mit einer crazy Selbstverständlichkeit so viele Jahre lang ausgeübt, dass ich mich heute sehr dafür schäme. Durch I LOVE SPA war ich damals in sehr vielen Wellnesshotels unterwegs, deren Spa Menüs “Das Beste aus aller Welt” hießen. Da buchst Du “Indien” und wirst in einen “indisch geschmückten” Raum geführt und einfach nur mit einem ranzigen Sesamöl eingerieben. Lomi roch immer nach Tiaré.
“Wollen Sie eine klassische Massage oder eine exotische Massage?” Mittlerweile finde ich das ziemlich problematisch und es löst große Scham in mir aus. Wenn ich keinen Bock hätte, mich mit dieser Scham auseinander zu setzen, könnte ich dagegenhalten, indem ich einfach sage “Aber ich habe die Balinesische Massage schließlich in einem 1:1 Training auf Bali direkt von einer Balinesin gelernt!” Solche Abwehrstrategien werden in diesen Debatten unentwegt abgefeuert. Und sie sind alles andere als konstruktiv.
Selbst geknüpfte Malas
Es ist gerade mal zwei Jahre her, dass ich noch selbst geknüpfte “Cosmic Malas” verkauft habe, wie ihr sie im Titelbild seht. Ich hatte die Steine auf das jeweils individuelle Horoskop abgestimmt und frage mich heute, warum zur Hölle ich nicht einfach Ketten geknüpft, sondern mich an einer buddhistischen bzw. hinduistischen Gebetskette bedient habe. Und ja, große Scham, weil es noch nicht wirklich lange her ist.
Räuchern mit “Smudge Sticks”
Okay, ein letztes Beispiel noch. Ich habe mich in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit dem Thema Räuchern auseinander gesetzt und mich dadurch irgendwann gefragt, warum wir hier mit weißem Salbei und Palo Santo räuchern und nicht den Beifuß nehmen, der an jeder Ecke wächst. Mittlerweile baue ich auf meinem Balkon und meinen Fensterbrettern viel Räucherwerk selbst an, das ich dann zu Bündeln wickle. Dabei war mir anfangs allerdings nicht klar, dass der Begriff “Smudge Stick” eine kulturelle Aneignung ist. Seitdem schreibe ich nur noch “Räucherbündel”, aber ich habe mich sehr geschämt, als ich per Email darauf hingewiesen wurde.
Worauf ich mit alledem hinaus will: Es ist kein persönliches Versagen, wenn in Zeiten des Wandels verstärkt Strukturen in unser Bewusstsein geraten, die “früher” vollkommen normal waren. Ich war sehr oft im Holiday Park. Es gilt jetzt allerdings, sie nicht wegzudrücken, sondern uns bewusst damit auseinander zu setzen.
Wenn uns also jemand in einem Diskurs auf etwas hinweist, was augenblicklich Scham in uns auslöst, gehen wir vermutlich erstmal in eine Art Verteidigungsmodus und schmettern das Gesagte ab. Hier könnte es helfen, wenn wir anstelle von Abwiegelungen sowas sagen wie: “Darüber muss ich mal in Ruhe nachdenken. Das ist ja sehr komplex”.
Ich bin selbst sehr privilegiert als heterosexuelle Cis-Frau mit weißer Haut und deutschem Pass. Die einzige Diskriminierung, der ich selbst immer wieder ausgesetzt bin, ist Sexismus. Ich arbeite mich da auch richtig dran ab und würde mal behaupten, dass das definitiv reicht, aber ich will mir nicht vorstellen, was ich mit einer Transidentität oder schwarzer Haut on top noch erleben würde.
Ich verstehe, dass es als weißer, heterosexueller Cis-Mann sehr tricky ist, sich in die Rolle der Menschen hinein zu versetzen, die tagtäglich Diskriminierung erfahren. Einfach, weil man als weißer, heterosexueller Cis-Mann maximal privilegiert ist. Und ich möchte wetten, dass alleine die letzten beiden Sätze zu Whataboutismen wie “Aber es gibt auch Rassismus gegen Weiße” oder”Aber es gibt auch Sexismus gegen Männer” führen werden. Und genau in diesem Moment dürfen wir uns diese Abwehrreaktion vor Augen führen und uns anschauen, was genau uns gerade beschämt.
Denn wenn wir in einer Welt ankommen wollen, in der Gleichheit zu den Grundwerten gehört, dann bringen uns diese ganzen Abwehrmechanismen einfach keinen Millimeter weiter. Wenn zwei Schwarze Menschen von hundert sich durch die Dreads weißer Menschen diskriminiert fühlen, dann haben wir das verdammte Scheiße sein zu lassen!
Jenny
Ich finde Scham so richtig scheiße (habe mir überlegt, T-Shirts mit dem Spruch zu drucken). Sie fühlt sich einfach unendlich elend an, klebrig unangenehm. Wie der frisch Hundehaufen unterm Schuh, stinkt sie auch zum Himmel…
Und es beim Schämen zu belassen, löst das Problem ja nicht. Die Verantwortung gilt es zu übernehmen. So wie du schreibst. Was mach ich jetzt damit, wie kann ich mich damit auseinandersetzen?!
Ich bin dir unendlich dankbar für deinen Artikel.
Wie immer ist Teilen heilsam. Sich zusammen zu schämen bzw. sich gegenseitig zu „beichten“ , fühlt sich erleichternd an.
Ich könnte hier munter in den Reigen einstimmen… hätte noch diverse Rasseln und ne Trommel abzugeben – die indischen Räucherstäbchen hab ich alle leider im Januar schon entsorgt. Hingegen hab ich noch tonnenweise einschlägige Literatur, haha.
Du sagst es. Umso trauriger, dass es mittlerweile ein Schimpfwort für all’ diejenigen gibt, die sich mit dieser Scham auseinander setzen ;( Aber ich will nicht aufhören, von einer Welt zu träumen, in der irgendwann alle “woke” sind…
Danke. Jenny
✊🏻❤️
Hallo Jenny,
ich setze mich seit langem (war mit einem arabisch-stämmigen Algerier verheiratet) mit diesem Thema auseinander. Zu deinem Post hier habe ich Freunde (POC) befragt, weil ich zunächst auch “betroffen” war, ob meiner “Blauäugigkeit” diesbezüglich.
Die einhellige Meinung “der Betroffenen”: Das ist nur wieder eine neue “Finte” zur Abgrenzung “der Weißen” und zeigt dass immer noch auf uns herabgeschaut wird und schafft Distanz und Abgrenzung zu und Ausschluss von Menschen anderer Kultur/Hautfarbe.
Nochmal: Das stammt nicht von mir, sondern ist – wortwörtlich – von einer meiner Freundinnen (POC) zitiert.
Ích selbst bin Halb-Indianer (ich bezeichne mich gelegentlich auch so) und musste als Kind (zwangsadoptiert in einem kleinen Kaff aufgewachsen) Hänseleien und Ausgrenzung ob meines (damals sehr) dunklen Teints erdulden….
Freue mich auf Rückmeldung und Austausch
K.
Vielen Dank für Deinen Kommentar! Inwiefern empfinden Du (bzw. Deine Freunde) denn ganz konkret, dass ich mich mit meinem Artikel abgrenze und auf sie herabschaue? Ich habe ja ganz bewusst 5 verschiedene Beispiele gewählt, anhand derer ich verdeutlichen wollte, wie facettenreich das Problem ist. Das erste Beispiel behandelt Kleinwüchsige Menschen, das zweite Gendern, das dritte asiatische Massageformen, das vierte den Hinduismus bzw. Buddhismus und das fünfte mittelamerikanische indigene Spiritualität. Empfindest Du das denn genauso, was das fünfte Beispiel angeht? Ich bin eine weiße Cis-Frau, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Wäre es besser, meine Reichweite nicht zu nutzen, um das Thema GLeichheit bzw. Ungleichheit zu behandeln? Ich tue das btw in erster Linie, weil es zur astrologischen Zeitenwende dazu gehört. Genauso wie ich über den Niedergang des Patriarchats oder der Kirche schreibe. Und ich fürchte, wir können Ungleichheit als gesamte Menschheit nur überwinden, wenn die Privilegierten (zu denen ich mich zähle) anfangen, sich mit der durch sie selbst gelebten Unterdrückung bewusst auseinander zu setzen. But it’s still a looong way to go :/
So ein wichtiges Thema. Ja, vielleicht ist es oft ein Schamvermeidungsthema, dass weiße bzw privilegierte Menschen in Abwehrhaltung gehen lässt. Vielleicht ist das auch eng verwoben mit der toxic positivity culture, dass nur bestimmte Gefühle erwünscht sind? Ich durfte den antirassistischen Weg schon seit einigen Jahren gehen und es ist nicht leicht, aber es ist okay. Erst habe ich z.B. erfahren dass Dreadlocks bei Weißen problematisch sind, und ich hatte vor 15 Jahren mal Dreadlocks. Habe mich geschämt, aber habe daraus gelernt. Dann habe ich erfahren dass weißer Salbei oft unter schlimmsten Bedingungen geerntet wird und kaufe seitdem keinen mehr. Wir Weißen BRAUCHEN keine Locs und keinen weißen Salbei. Marginalisierte Menschen MÜSSEN sich aber jeden Tag mit einem rassistischen, behindertenfeindlichen und heterobevorzugendem System auseinander setzen. Es ist ja das mindeste das wir tun können, einfach zuzuhören und gewisse Dinge einfach zu lassen. Wie du auch immer sagst, nicht privilegierte Menschen legen fast, was diskriminert und verletzt, sondern die Betroffenen.
Ja, gut möglich. Vor allem innerhalb der spirituellen Szene inszenieren sich ja viele im Love & Light Stil wie Lichtwesen. Da ist für solche niedrig schwingenden Gefühle dann vermutlich kein Platz 😅
Hallo Jenny,
Ich lese seit einiger Zeit deinen Blog und finde ihn sehr spannend. Diese Woche habe ich mehrmals über kulturelle Aneignung nachgedacht, bevor ich gerade auf deinen Post gestoßen bin, der mich erneut zum Nachdenken gebracht. Ich weiß noch nicht, ob ich allem zustimme. Der Prozess dauert noch an. Eine Frage, die sich mir immer stellt: Was ist sozusagen der Kompass? Worauf sollte ich aus Respekt verzichten und wie kann man seinen Horizont auf wertschätzende Art und Weise erweitern? Um es mal konkret zu machen: warum sind Klangschalen ok, weißer Salbei aber nicht? Was macht für Dich den Unterschied? Ich danke Dir für einen Einschätzung!
Grüße
Lena
Ich hab’ mich in den vergangenen Jahren intensiv mit Klangtherapie und Klangschalen auseinander gesetzt und bin immer wieder an dem Punkt gelandet, dass der Ursprung in der New Age Bewegung liegt. Klangschalen aus Metall, die in der Klangtherapie ja auch zum Einsatz kommen, waren ursprünglich wohl einfach nur Küchengeschirr.
Der Wikipedia Eintrag zu Klangschale sagt: “Für die in der westlichen Esoterik-Szene verbreitete Auffassung, dass die Schalen im traditionellen buddhistischen Ritualwesen eine Rolle spielten, gibt es laut Colin Goldner keine Belege.” Und auch der Wikipedia Eintrag zur Klangtherapie greift das nochmal auf: “Im Westen entstand jedoch etwa in den 1980er Jahren die Überzeugung, dass es sich bei den tibetischen Metallschalen um Klangschalen handelt, und sie lassen sich unzweifelhaft zum Erzeugen von Tönen verwenden. Dass die Klangtherapie eine uralte buddhistische Methode sei, was häufig in der westlichen Esoterik-Szene behauptet wird, lässt sich nicht belegen.”
Peter Hess hat sicherlich einen großen Einfluss auf die Verbreitung und Art der Anwendung von Klangschalen im deutschsprachigen Raum.
Ich empfinde es selbst daher als unproblematisch, auch Metallschalen in unserem Sound Bath zu spielen. Wir “besitzen” aber keine schamanischen Trommeln und spielen auch keine anderen Klänge, die kulturell woanders verortet sind. Das würde sich falsch anfühlen.
Das ist ja das absolute Irrsinn mit dem Dorf. Himmel! Meine Haltung kennst Du ja. :) Aber weisst Du, was mich immer wieder richtig stört – und mich persönlich bestimmt auch sehr ablehnend fühlen lässt? Dieses “priviligiert”. Ich bin weiß, ich bin im sicheren Deutschland geboren und darf als Frau viele Freiheiten mein eigen nennen. Da hört es aber auch auf mit meinen Privilegien, denn ich hatte eine katastrophale Kindheit und bin mein Leben lang auf mich gestellt. Ich bin einfach nicht priviligiert und würde mir auch da mehr woke wünschen. Auch hier hat beiweiten nicht jede/r hat Mama/Papa/Hund/Haus/Schulbildung/Essen/Ärztliche Versorgung/usw.
Aber individuelles Schicksal ist ja nicht vergleichbar mit einer rassistischen Diskriminierung. Stell’ Dir einfach vor, Du hättest on top keine weiße Haut gehabt. Dann wäre alles höchstwahrscheinlicher noch beschissener gelaufen. Und das einfach nur wegen Deiner Hautfarbe. Dass Millionen von Menschen einfach nur aufgrund ihrer Hautfarbe, aufgrund ihrer Haare oder aufgrund ihres Namens benachteiligt werden, ist mit persönlichen Einzelschicksalen nicht vergleichbar. Ein Mensch, der ein schlimmes Schicksal erlitten hat, hat die Möglichkeit, dieses Schicksal zu überwinden. Mit Deiner Hautfarbe funktioniert das nicht. Mir persönlich hat es sehr geholfen, Bücher von Schwarzen Frauen zum Thema Rassismus zu lesen. EXIT RACISM von Tupoka Ogette ist z.B. auf allen Plattformen frei verfügbar und hat mir persönlich sehr geholfen, das Thema besser einordnen zu können :)
Die Bücher kenne ich fast alle. Und doch, ich habe heftige Diskriminierung erfahren. Kinder durften nicht mit mir spielen aufgrund meiner prekären Herkunft. Und heute werde ich weiter deshalb ausgegrenzt und benachteiligt – und kann aufgrund meiner mentalen Verfassung nicht mehr Arbeiten. Also nichts mit Schicksal überwinden. Deshalb muss das Teil der Diskussion werden. Damit mindere ich in keinem Fall die Schuld meiner Vorfahr*innen. Kolonialisierung und Ausbeutung, Eroberung und Verwerfungen, Diskriminierung und Versklavung, bis heute. Trotzdem: ich bin und bleibe alles andere als priviligiert.
Kinder(-Armut) ist ein großes Problem, wenn ich das richtig verstanden und interpretiert habe. Und dennoch ist es ist nicht vergleichbar mit strukturellem Rassismus. Du könntest rein theoretisch irgendwo anders neu anfangen. Wo Dich niemand kennt. Ohne ausgegrenzt zu werden. Ein Schwarzer Mensch kann seine Hautfarbe nicht abstreifen und ist Tag für Tag mit Abwertung und Ausgrenzung konfrontiert. Es gab viele Männer, die sich an meinem Instagram Post auch gestört haben und mir mitteilten, dass es auch Sexismus gegen Männer gibt. Die es so einfach nicht stehen lassen konnten. Und ich glaube, wir müssen kollektiv lernen, das auszuhalten, wenn wir damit konfrontiert werden. Auch wenn es schmerzt ;(
Liebe Jenny!
JA. Danke für Deinen Text.
UND nach mehrmaligem Lesen und Nachspüren möchte ich Folgendes einbringen:
Braucht es wirklich ‘Scham’?! Ist Scham angezeigt & hilfreich? Liegt nicht gerade in diesem Empfinden/ Gefühl begründet, dass es so viel Abwehr/ Rationalisierung gegen Einsicht, Verantwortung & Verhaltensänderungen gibt?
Oh, ich kenne Scham aus eigener Erfahrung, puh- nicht schön!!! Ich stell mal ‘Schuld’ daneben. Ein Schuldgefühl sagt mir: ‘Ich habe etwas falsch gemacht.’ Das kann ich spüren, betrauern, eingestehen, Verantwortung übernehmen, mich ent-schuldigen und es zukünftig besser machen.
Scham sagt mir: ‘Ich BIN falsch (oder unachtsam/ unbewusst,/nicht politisch- korrekt etc. in allen Varianten). Das bedroht mich in meinem Wesen, meiner Identität. Bei mir war Scham oft verbunden mit dem Eindruck, jede*r weiß es besser/ handelt besser, nur ich bin zu doof/ blöd/ faul/ schlecht/ unreif etc., kurz: falsch. UND ich HÄTTE es aber besser wissen/ machen MÜSSEN!!! Dabei ist vieles, was schief läuft ja systemisch, strukturell, Teil unserer Gesellschaft & damit unserer Sozialisation. Damit ent-schuldige ich nichts. Es BRAUCHT Einsicht & Veränderung! Aber kommen sie durch Scham?!
Ich liebe diese Worte von Sinead O’Connor aus ‘Famine’:
“And if there ever is gonna be healing
There has to be remembering
And then grieving
So that there then can be forgiving
There has to be knowledge and understanding”
=
“Und wenn es jemals Heilung geben soll
muss man sich erinnern
Und dann trauern
Damit es dann Vergebung geben kann
muss es Wissen und Verständnis geben”
Achtsam-Sein, wirkliches Hinschauen & Wahr-Nehmen mit offenem Herzen, Nach-Spüren, Bedauern & Trauern… sind für mich DIE Wege.
~~~
Ich möchte auch noch etwas zu Heilmethoden etc. aus anderen Kulturen schreiben:
Ist es wirklich DER Weg/ ‘notwendig’ nichts davon mehr anzubieten hier ‘bei & durch uns’? Muss es als missbräuchliche Aneignung gesehen/ getan werden? Könnte es nicht mit & ALS Wertschätzung & Würdigung für eben diese Traditionen geschehen?
Es ist so ein wundervolles, großartiges Geschenk für die Welt, dass so viele Kulturen/ Traditionen/ Heilkünste/ Ideen etc. durch Indigene & in ‘Nischen’ bewahrt wurden & werden- oft ja TROTZ Unterdrückung/ Umerziehung/ Genoziden und so viel Schlimmes mehr! Ein Schatz, der ja dringend gebraucht wird in dieser Zeit!
Upps- lange geworden… Danke falls Du oder andere meine Gedanken lesen ;-)
Karin
Auweia, Dein Kommentar ist mir voll durchgerasselt 😳 Sorry fürs späte Freischalten!
Bei all’ den wilden Diskussionen, die mein Artikel nach sich gezogen hat, bleibt für mich persönlich folgendes Fazit festzuhalten:
1. Was klar geht und was nicht, entscheiden Betroffene. (Dabei bleibe ich.)
2. Meine Generation (ich gehöre zur Gen X) zeigt schon jetzt boomerhafte Züge in ihrer Argumentation. Und ich kann mich auch selbst nicht gänzlich davon freimachen. Wir werden die nächsten Boomer sein mit limitiertem Mindset, das hat mir das vergangene Wochenende auf schmerzliche Weise vor Augen geführt. Vielleicht wäre es gut, wenn wir weniger untereinander innerhalb “älterer” Generationen diskutieren, und dafür mehr in den Dialog mit jungen Menschen treten, für die vieles so viel klarer und selbstverständlicher ist als für uns. (Auch bezogen auf das Thema Kulturelle Aneignung…)
“Darüber muss ich mal in Ruhe nachdenken. Das ist ja sehr komplex”. ❤️ Das nehme ich definitiv mit . Ich bewege mich wenn ich spirituelle Fragen habe/ Anregungen / Antworten suche hauptsächlich in English sprachigen Gruppen / Seiten da ich mich in den Deutschen “Foren”(? Weiß nicht genau wie es umschreiben) irgendwie gar nicht sehe/ höre. Habe Migrationshintergrund vielleicht spielt das eine Rolle, aber wohl hauptsächlich die mir zu ätherische Entrücktheit (bin klar 5D Reisende , das meine ich damit nicht, eher dass die Zartheit häufig nicht authentisch klingt? ) In jedem Fall: Dein Beitrag war die erste Ausnahme (für mich!) & dann noch politisch 😂 habe mich gefreut.
Ich weiss genau, was Du mit ätherischer Entrücktheit meinst. Ich kann mit dieser elfenhaften, sphärischen Inszenierung auch nichts anfangen :/