Der heutige Artikel fällt mir nicht leicht. Je mehr ich über das Thema nachdenke, umso trauriger und betroffener macht es mich. Denn ich habe in den vergangenen 1,5 Jahren sehr viele Menschen aus meinem Leben verabschiedet.
Aber von Anfang an: Vor nunmehr 20 Jahren habe ich mein physiotherapeutisches Staatsexamen abgelegt. Denn für mich war immer klar: Nichts anderes will ich machen. Nach einem kurzen Abstecher in die Pädiatrie landete ich in der Sportorthopädie, was mir auch riesig Spaß machte. Motivierte Patient*innen, schnelle Erfolge und all’ sowas eben. Aber schon nach wenigen Jahren störte ich mich daran, dass der Fokus in unserem Gesundheitssystem fast ausnahmslos auf das Symptom gerichtet ist. Zum einen hat es Kostengründe, dass sich viel zu selten mit der Ursache beschäftigt wird. Zum anderen sind wir aber medizinisch in einer Zeit unterwegs, in der es eher verpönt ist, eine Korrelation zwischen Seele und Körper in Betracht zu ziehen. Und so frustrierte es mich zunehmend, unter Zeitdruck am Symptom herum zu therapieren, ohne den gesamten Menschen in meine Behandlung mit einzubeziehen.
Dadurch driftete ich langsam ab in die Spa Branche, wo ich deutlich mehr Zeit für jeden einzelnen Menschen hatte und wo der physische Körper weniger strikt vom Rest des Menschen abgegrenzt wurde. Damit kam ich zehn Jahre lang ganz gut zurecht. In der Spa & Wellnessindustrie sah ich mich allerdings mit vielen Menschen konfrontiert, die den Fokus ausschließlich auf den seelischen, den feinstofflichen Anteil richteten. Was dazu führte, dass ich mich in meiner Art zu arbeiten auch hier nicht zugehörig fühlte.
Wer sowohl die moderne Medizin, als auch einen ganzheitlichen Ansatz zu schätzen weiss, passt in keine Schublade. Die Pandemie hat dieses Dilemma noch verschärft. Mittlerweile stehen sich beide Lager gegenüber und keifen sich an. Die “Jünger der Pharmalobby” auf der einen und die “Eso-Spinner” auf der anderen Seite.
Und ich? Ich schwebe nach wie vor in einem luftleeren Raum irgendwo dazwischen.
Ich bin selbstredend geimpft. Denn ich bin kein Lichtwesen und mein physischer Körper ist nicht unbesiegbar. Er gerät dann und wann an seine Grenzen. Immer wenn das passiert, bin ich froh, wenn ein Chirurg zur Stelle ist und mir eine fiese Fraktur operativ verplattet oder wenn es einen verfügbaren Impfstoff gibt, der meinem Immunsystem erklärt, was zu tun ist. Ich habe während meiner Ausbildung Operationen beigewohnt, bei denen es zuging wie in einer Werkstatt. Wer sich mal angeschaut hat, wie ein Hüftgelenk ersetzt wird, wird sich zweifelsohne vor unserer handfesten, modernen Medizin verneigen. In meiner Welt macht es also überhaupt keinen Sinn, sich vor dem Fortschritt zu sperren. Und damit meine ich die gesamte Palette an Fortschritt, angefangen bei der Geburtshilfe bis hin zur Impfstoffentwicklung.
Nun bin ich aber nicht nur Physiotherapeutin, sondern auch Klangtherapeutin, Reiki Meisterin und – als wäre das alles nicht schon hart genug – arbeite ich on top auch noch mit der Astrologie. Das hat zur Folge, dass mich Menschen, mit denen ich bei Twitter auf einer Wellenlänge bin, in die Querdenken Schublade packen, während mich Menschen bei Instagram, die sich für meine spirituellen Dienstleistungen interessieren, umgehend deabonnieren, weil ich geimpft bin.
95% meiner zwischenmenschlichen Verbindungen aus dem Jahr 2019 haben sich mittlerweile so sehr in Fake News und Verschwörungsgeschichten verheddert, dass sie für einen sachlichen Diskurs nicht mehr zur Verfügung stehen. Diese Menschen reproduzieren nicht nur menschenverachtendes Gedankengut, sondern gefährden durch ihre Radikalisierung auch die Grundfeste unserer Demokratie.
Falls ihr bis hierhin gelesen habt und nun erwartet, dass ich euch hier einen Lösungsansatz für diese beschissene Situation präsentiere, muss ich euch enttäuschen.
Nichts desto trotz bin ich davon überzeugt, dass der Bedarf an spirituellen Dienstleistungen gerade stärker denn je ist. In einer Zeit des Umbruchs, in der die alte Ordnung aufbricht und das Chaos übernimmt, profitieren die Menschen mehr denn je von Entspannungstechniken. Nach so vielen Monaten des Social Distancings ist Berührung angesagter denn je.
Ich kann zu 100% verstehen, wenn viele nun erstmal skeptisch sind und sich von solchen Angeboten ganz grundlegend distanzieren. Aber bitte vergesst nicht, dass es zwischen all’ den schwarzen Schafen und Querdenkern auch noch Menschen gibt, die eine Brücke zwischen beiden Welten bauen.
Ich halte mich keineswegs für erleuchtet, bin mir aber dennoch darüber im Klaren, dass ein Sound Bath mehr berührt als wir uns wissenschaftlich zum aktuellen Zeitpunkt erklären können. Klang zeigt uns auf beeindruckende Weise, dass wir mehr sind als dieser physische Körper, in dem wir durch dieses Leben taumeln. Und es ist nicht zwingend notwendig, das zu verstehen. Dann und wann ist es auch mal vollkommen okay, etwas einfach nur zu fühlen.
Ich habe vor vielen Jahren eine WDR Talkshow gesehen, in der ein Wissenschaftler in der Runde mich sehr beeindruckte. Er sagte nämlich, dass er Wissenschaftler geworden ist, um Dinge zu beweisen, die sich aktuell noch nicht beweisen lassen und nicht, um sich überheblich über alle Annahmen zu stellen, die zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht wissenschaftlich bewiesen sind.
Ich verstehe, dass es sowas wie ein Überlebensmechanismus während dieser Pandemie ist, Menschen in Schubladen zu packen, um besser klar zu kommen. Ich mache das selbst auch. Und dennoch könnte uns gesamtgesellschaftlich ein bisschen weniger Überheblichkeit auf beiden Seiten nicht schaden.
Errungenschaften der modernen Medizin anzuerkennen und offen zu sein für alternative Techniken schliesst sich per se nicht gegenseitig aus. Diese Offenheit darf nur nicht dazu führen, dass Menschen Schaden erleiden – sei es durch Scharlatanerie einzelner oder das unsolidarische Verhalten vieler.
Jenny
Titelbild © Grit Siwonia
Hallo meine Liebe
So schön dich wieder gefunden zu haben, und wie immer sehr gut geschrieben, das Soundbathnsilvester 2019 Ist mir noch sehr in Erinnerung, ich werde morgen mal bei Matthias auf die Seite gehen, was ihr so treibt und macht, wollte mich nur mal kurz melden bis hoffentlich ganz bald ganz liebe Grüße Annette von Holidayyoga.de, ja und auch bei mir hat sich im Freundeskreis ganz viel getan, das ist wohl normal in diesen Zeiten….
Wow Jenny, ganz großen Respekt! Du sprichst mir sowas von aus der Seele, vielen Dank für deine Worte- es ist so beruhigend zu wissen dass auch andere sich in diesem “Luftleeren Raum” wiederfinden und so gut es geht versuchen mit den verschiedenen Lagern in der Umwelt klar zu kommen…Unsere beruflichen Biografien sind sehr ähnlich und vielleicht entsteht dadurch automatisch das Bewusstsein sowohl ein spirituelles Wesen zu sein, als auch mit den Herausforderungen der Menschwerdung im Dschungel aus Raum und Zeit klar kommen zu müssen. Ich hoffe dass bald wieder andere Dinge im Fokus stehen und auch der Mittelweg legitim sein darf ohne als “Verrat” angesehen zu werden. Herzlichst !
Ein schwieriges Thema, dass du eloquent auf den Punkt gebracht hast. Ich finde auch für mich selbst schwierig, wo ich die Grenze ziehe und wie. Und die Pandemie hat es irgendwie noch einmal verkompliziert. Ich finde es besonders schön, diesen kleinen Ausschnitt deiner Perspektive darauf zu lesen :)
Danke euch für eure Rückmeldungen :) Tut so gut zu lesen, dass ich damit nicht alleine bin. (Auch wenn es sich meistens so anfühlt.)
Liebe Jenny,
velen Dank für deinen Beitrag, du sprichst mir mit fast jedem einzelnen Satz SO aus der Seele!
Es tut wirklich gut, nach sehr langer Zeit einmal zu lesen, dass man nicht alleine ist “zwischen den Fronten”.
Alles Liebe unbekannterweise. Kirsten
Hallo Jenny,
ein toller Artikel, unter dem ich einfach Feedback geben möchte. :)
Ich selbst bin Wissenschaftlerin und eigentlich gar nicht religiös oder spirituell. Gerade wegen deiner aufgeklärten, offenen, aber klaren Einstellung schaue ich aber alle paar Wochen mal wieder hier vorbei. Ich kann an vieles, das du beschreibst, einfach nicht glauben, weil es für mich nicht wissenschaftlich belegbar ist, aber das muss es ja auch gar nicht sein, um gut zu tun. Vieles klingt für mich einfach interessant und ich lerne gerne etwas darüber, auch, wenn ich nicht daran glaube.
Ich bewundere deine offene Art, denn wie du selbst schreibst, ist auch die “Spiri-Szene” leider oft genauso dogmatisch wie die Wissenschaft. Was für mich gar nicht geht, sind Heilsversprechen, bei denen ernsthafte Erkrankungen mit “alternativen” Methoden behandelt werden sollen oder toxische positivity, die z.B. Krebspatient:innen unterstellt, sie seien selbst an ihrer Erkrankung schuld, weil sich “Negatives” bei ihnen “manifestiert” habe. Genauso wenig kann ich aber Wissenschaftler:innen leiden, die in ihrem Bereich Schindluder treiben, Ärtz:innen, die ihren Patient:innen nicht zuhören, sondern einfach die leichteste Diagnose stellen oder Influencer:innen, die ihren Followern obskure Studien vorlügen, um ihrem Geschwurbel einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Schwarze Schafe finden sich eben überall und sind für all jene mehr als ärgerlich, die sich in ihrem Bereich seriös verhalten.
Alles in allem denke ich, dass es wundervoll ist, dass es auch Menschen wie dich gibt, die ihrem Gefühl genauso folgen können wie ihrem Verstand, auch, wenn das momentan wirklich keine dankbare Rolle ist, für die ich dir viel Kraft wünsche. :)
Danke Dir von Herzen für Deinen Kommentar 🥰